Reorganisationsmodelle
Je nach Grad der Marktöffnung unterscheidet man folgende Modelle (Idealtypen):
Durch die vertikale Trennung von Erzeugung und Übertragung wird
ein durch den Alleinabnehmer organisierter Wettbewerb auf der Produktionsstufe
angestrebt (Abb. 3.15). Jedes Land oder Region wird aber weiterhin von
einem Alleinabnehmer bedient, der das Monopol über Übertragung,
Verteilung und Verkauf (Lösung A) innehat. Verteilung + Verkauf können
abgespalten werden und von unterlagerten Monopolisten teilweise oder ganz
betreut werden. (Lösungen B und C), die aber keinen Netzzugang erhalten.
Netzzugang haben nur die Kraftwerke, wobei der Grosshandelsmarkt Kraftwerke
und Alleinabnehmer betrifft. Die vorhin erwähnten Bedingungen für
eine Liberalisierung sind in diesem Modell nur teilweise erfüllt.
Weitere Verzerrungen entstehen dann, wenn dem single buyer (SB) die Möglichkeit
gelassen wird, eigene Kraftwerke zu betreiben. So können durch Quersubventionierung
unabhängige Produzenten diskriminiert werden.
Ein solches System kann als erste Stufe einer Liberalisierung betrachtet
werden, in welcher immer mehr Produzenten verselbständigt werden und
progressiv zuerst große und dann immer kleinere Konsumenten (und
Verteilwerke) den Markzutritt erhalten. Andererseits lässt ein SB-Modell
mit progressiver Erweiterung der Zugangsberechtigten dem bisherigen Monopolisten
(und durch die Abschliessung von langfristigen Verträgen auch den
unabhängigen Erzeugern) mehr Zeit, sich der neuen Situation anzupassen,
„gestrandete" Investitionen zu amortisieren und ökologische Randbedingungen
einzuhalten.
Wettbewerb auf der Grosshandelsstufe
Wesentlich höher ist der Grad der Liberalisierung, wenn alle am Übertragungsnetz angeschlossenen Teilnehmer, also auch die Verteiler und Grossverbraucher (z.B. gemäss EU-Richtlinie, ab Februar 2000 Konsumenten ab 20 GWh, ab Februar 2003 Erweiterung auf 9 GWh) freien Zugang zum Netz erhalten und mit den Erzeugern ihrer Wahl Verträge abschliessen bzw. am Spotmarkt (Börse) Strom einkaufen dürfen. Die Organisation des Grosshandelsmarktes kann zwei Formen aufweisen, die im folgenden besprochen werden, nämlich das Pool-Modell mit allgemeinem Netzzugang und das Modell mit (meist bilateral) ausgehandeltem Netzzugang, wobei in der Praxis auch Mischformen auftreten. In beiden Fällen können die Verteiler ihre Gebietsmonopole behalten.
In jedem Fall muss der Betrieb des Übertragungsnetzes als Monopol staatlich reguliert werden, damit die nötige Offenheit und Transparenz des Marktes gewährleistet und das Netz für seine Leistung angemessen vergütet wird. Das Ziel ist eine volkswirtschaftlich effiziente Elektrizitätswirtschaft, bei Berücksichtigung sozialer und ökologischer Aspekte.
Pool-Modelle
Das Übertragungsnetz wird von einem unabhängigen und neutralen System-Betreiber (independent system operator, ISO) betrieben (Abb. 3.16). Die Organisation des Pools (Börse) weist zwei Formen auf:
Ökonomischer Vorteil des Poolsystems ist, dass die Netzbenutzungspreise
knotenspezifisch (Anschlusspunkttarife) auf Grund der Marginalkosten
bei Berücksichtigung von Netzverlusten und Kapazitätsgrenzen
festgelegt werden können, was eine effiziente Allokation der Netzkapazitäten
ermöglicht (Band 3, Kap. 9), wobei dies umso besser der Fall ist, je grösser
der Pool-Anteil an der übertragenen Energie ist, was beim obligatorischen
Pool am besten erfüllt ist. Ein Nachteil des obligatorischen Pools
ist wegen des grossen Spotmarkt-Anteils die mangelhafte mittelfristige
Planung, die aber durch einen Terminmarkt zur Risikoabsicherung (Abschn. 3.9)
ergänzt werden kann. Ein Regulierungsmarkt, der den grossen Erzeugern
und Verbrauchern vorbehalten ist, ermöglicht ausserdem den Handel
mit Reservekapazitäten .
Wesentliche Voraussetzung für das gute Funktionieren des Pool-Systems ist echte Konkurrenz auf der Erzeugerseite, d.h. eine genügende Anzahl unabhängiger Produzenten, die strategisches Verhalten uninteressant erscheinen lässt, d.h. die Verhinderung von Marktmacht und Kartellabsprachen.
Ausgehandelter Netzzugang
Beim Modell mit ausgehandeltem Netzzugang ist der Grosshandelsmarkt ebenfalls allen Verbrauchern offen. Die Lastverteilung wird vom Netzbetreiber auf Grund der meist bilateral ausgehandelten Verträge durchgeführt. Davon wird nur dann, wenn die Sicherheit des Netzbetriebs tangiert wird, abgewichen. Der Netzbetreiber organisiert bestenfalls den Regulierungsmarkt (Echtzeitmarkt). Die Funktionen Netzbetrieb und Regulierung (Bilanzierung) können allerdings auch getrennt sein (s. Abschn. 3.8).
Ein Spotmarkt kann zwar vorhanden sein, ist aber im Unterschied zur
Pool-Lösung vom Netzbetrieb entkoppelt und wird nicht für die
Regulierung und die optimale Lastverteilung verwendet. Dementsprechend
werden die Netzbenutzungstarife nicht auf Grund der Grenzkosten, sondern
als distanzunabhängige Briefmarkentarife oder distanzabhängig
festgelegt. Dies hat den Nachteil, dass die Allokation der Netzkapazität
weniger effizient ist.
Die Abb.3.17 zeigt im Detail die möglichen Organisationsformen.
Eine vertikale Trennung von Erzeugung, Übertragung und Verteilung
ist nicht unbedingt verlangt (Lösungen A und B) allerdings mit dem
Nachteil, dass die Netzbetreiber ihre Konkurrenten benachteiligen können.
Dies kann mit Lösung C ausgeschlossen werden. Die radikalste Entflechtung
ist die Gründung einer unabhängigen Netzgesellschaft. Eine Variante
ist die buchhaltungs- und managementmässige Trennung, die aber Anreize
zur Diskriminierung nicht ganz ausschaltet.
Wettbewerb auf Detailhandelsstufe
Im Unterschied zum besprochenen Modell mit Wettbewerb nur auf der Grosshandelsstufe
werden nun auch Verteilung und Verkauf entflochten, und somit können
auch Kleinverbraucher ihren Stromlieferanten über einen unabhängigen
Verkäufer frei wählen (z. B. für den Fall Abb. 3.17c folgt
Abb. 3.18).
Der Übergang vom Wettbewerb auf Grosshandelsstufe zum Wettbewerb auf Kleinhandelsstufe kann progressiv geschehen, indem immer kleinere Verbraucher den Marktzutritt erhalten. Für die Effizienz der Elektrizitätsversorgung ist der rasche Übergang zum Wettbewerb auf Kleinhandelsstufe von grosser Bedeutung, da ca. 50 % der Gesamtkosten des Elektrizitätssektors auf die Verteilstufe entfallen.